Führung zwischen Schein und Sein

 

Das Unternehmen Ich: Wenn Führung zur Bühne und Menschen zu Requisiten werden

 
 
 

Foto von Luna Eastwood auf Pixabay. Führungskraft im Rampenlicht – Symbol für Selbstinszenierung im Business.

 
 

Dieser Beitrag stellt in Kürze ein Fallbeispiel dysfunktionaler Unternehmensführung dar, bei der die Unternehmensidentität vollständig mit einer Person an der Spitze verschmolzen ist. Dieses Beispiel ist repräsentativ für viele reale Firmen, die nach außen starke Selbstinszenierung zeigen, im Inneren jedoch finanziell und psychologisch leiden.

Unter Rückgriff auf Konzepte aus der psychodynamischen Organisationsforschung und der narzisstischen Führungspsychologie wird gezeigt, wie ein kontinuierlicher Bruch zwischen Selbstdarstellung und betrieblicher Realität zu strukturellem Zerfall, hoher Personalfluktuation und Sinnentleerung auf Mitarbeiter:innen-Ebene führen kann.

 

Es gibt Unternehmen, die auf den ersten Blick wie moderne Kunstwerke wirken: Stilvoll, provokativ, strahlend. Sie präsentieren sich auf Social Media als progressive Orte des Wandels, Kreativität und des globalen Erfolgs. Ihre Führungskräfte sind charismatisch, sprechen von Visionen, wirken wie Ikonen des Erfolgs. Doch was, wenn hinter diesem Bild nicht nur Überforderung, sondern ein tief narzisstisches Missverhältnis zwischen Außenwirkung und Innenstruktur liegt?

Dies ist die Geschichte einer Firma, die zur Projektionsfläche einer auf sich selbst fixierten Person wurde – und damit sinnbildlich steht für viele Organisationen, die unter der Schwere des Scheins zusammenbrechen.

Der CEO als Marke

Der Mann an der Spitze war mehr als nur ein Geschäftsführer – er war die Marke selbst. Sein Auftreten: Weltgewandt, kreativ, risikofreudig, mit revolutionären Ideen. Auf Social Media war er omnipräsent – mal in Paris, mal in einem Hotel in Dubai, mal bei einem „inspirierenden Retreat“ in Mexiko. Jeder Post glänzte. Jeder Satz stilisierte das Business zur modischsten aller Kunstformen.

Doch was niemand sah: Seine Unternehmen litten.

Wo ist der Unterschied zwischen Bühne und Betrieb?

Intern herrschte Chaos. Löhne wurden verspätet oder falsch ausgezahlt. Personal wechselte in hoher Frequenz. Budgets versickerten in undurchsichtigen Ausgaben. Entscheidungen traf ausschließlich der CEO – oft ohne Angemessenheit oder Rücksprache. Termine und eigene Versprechen vergaß er regelmäßig.

Führung? Fehlanzeige. Kommunikation? Einseitig. Verantwortung? Diffus.

Die Mitarbeitenden wurden zu reaktiven Dienstleister:innen eines persönlichen Systems, das sich nicht an den Zielen der Organisation orientierte, sondern an den emotionalen Bedürfnissen des CEO: Anerkennung, Kontrolle, Bewunderung. Wer kritisierte, wurde ignoriert oder entwertet. Wer schwieg, durfte bleiben – solange er oder sie funktionierte.

Die Konfrontation

Ein Manager, der über Jahre das operative Herzstück eines der Unternehmen am Laufen hielt – mit Personalführung, Umsatzverantwortung und direktem Kund:innenkontakt, begann zu zweifeln. Die Arbeit, die er und seine Teams leisteten, floss direkt in die Finanzierung der privaten Eskapaden des Chefs. Während er sich um seine zunehmend unzufriedenen Teams und frustrierte Kund:innen kümmerte, verlor der CEO die Flüge, die Firmenware – und sich selbst in der Inszenierung eines Lebens, das mit unternehmerischer Realität nichts zu tun hatte.

Am Flughafen, an einem Wendepunkt, stellte er den CEO zur Rede. Er war nicht wütend. Er war erschöpft. Seine Botschaft war klar: „Das hier hat keinen Sinn mehr, wenn du nicht aufwachst. Du brauchst uns. Doch wir gehen, wenn du weiter nur dich selbst inszenierst.“

Der CEO grinste und schwieg. Und reiste wieder ab – kommentarlos.

Narzissmus als Organisationsform

Was sich hier zeigt, ist kein Einzelfall; Menschen berichten über eine Form organisationaler „Fehlkultur“. In der psychodynamischen Organisationsforschung spricht man von narzisstischen Organisationen – Strukturen, in denen die Führung nicht mehr Dienst an der Sache ist, sondern Bühne für das Selbstwertsystem der Führungskraft. Diese Organisationen leben nicht von Prozessen, sondern von Persönlichkeitsdynamiken. Sie sind nicht transparent, sondern inszeniert. Die Mitarbeitenden sind nicht Subjekte, sondern Ersatzteile.

Das Problem: Narzissmus schützt sich selbst. Kritik wird zur Bedrohung, Mitarbeitende zu Störenfrieden. Darum werden diese Systeme oft erst sichtbar, wenn sie zusammenbrechen – finanziell, strukturell oder menschlich.

Die existenzielle Dimension

Was bedeutet es, in einem solchen System zu arbeiten? Es bedeutet unter anderem, entfremdet zu sein – von sich selbst, von der Arbeit, vom Sinn der Tätigkeit und des Lebens. Die Frage, wofür man arbeitet, bleibt unbeantwortet. Loyalität wird ausgenutzt, Verantwortung auf der Führungsebene kreist nur um Eigeninteressen. Arbeitende Menschen brennen nicht aus, weil sie zu wenig leisten, sondern weil ihre Leistung bedeutungslos wird in einem System, das allein dem äußeren Glanz dient.

Diese Geschichte ist nicht nur die einer gescheiterten Firma. Es handelt sich um eine Erzählung über zahlreiche Organisationen in der neoliberalen Ära: Über den Verlust von Tiefe, Sinn und Verantwortungsbewusstsein. Darüber, wie Persönlichkeit und vermeintliches Unternehmertum miteinander verschmelzen. Über das stille Leiden hinter glänzenden Bildern.

Was wir daraus lernen können

  1. Führung ist keine Bühne. Sie ist Beziehung. Und Beziehung braucht Authentizität, Reflexion, gesunde Grenzen.

  2. Eine Organisation darf keine Projektionsfläche für psychologische Defizite werden. Sie kann tragfähige Strukturen schaffen – für viele, nicht für einen.

  3. Transparenz ist wichtiger als Schein–Ästhetik. Wer nur den äußeren Eindruck pflegt, verliert den Blick auf das Wesentliche.

  4. Mitarbeitende sind keine Ressource. Sie sind Individuen und Subjekte. Werden sie als Objekte oder als Ersatzteile behandelt, ist das ein mögliches Indiz für ein gestörtes System.

Es sind nicht nur Märkte oder Krisen, die Firmen in den Abgrund ziehen. Es sind oft Persönlichkeitsmuster, unreflektierte Verhaltensweisen, Machtspiele und ein Mangel an Reife in der Führung. Die Firmenkultur ist der Spiegel ihrer Leitung. Und wenn dieser Spiegel nur sich selbst sieht, ist der Untergang nicht eine Frage des „Ob“, sondern des „Wann“.

 
 

Foto von Παῦλος auf Pixabay. Wenn alte Führungserfahrung auf neue Denkweisen trifft: Hoffnung für echten Wandel im Unternehmen.

 
 

Die ethische Alternative: Selbstführung als Kulturleistung

Ethisch wirksame Führung beginnt innen.

Sie setzt voraus, dass eine Führungskraft sich selbst führen kann, bevor sie andere führt. Dazu braucht es:

  1. Reflexionsfähigkeit: Die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen – jenseits von Position, Titel und Gehalt.

  2. Demut: Nicht im Sinne von Kleinmachen, sondern als mutiges Eingeständnis, Teil eines größeren Ganzen zu sein.

  3. Verantwortung: Nicht nur für Ergebnisse, sondern für Wohlwollen, Miteinander, eine konstruktive Atmosphäre, Vertrauen und Fairness.

  4. Innere Haltung: Ein klares „Ja“ zur Menschlichkeit und zur Bereitschaft zu achtsamen Reflexionen.

Selbstwirksame Führung ist kein Kuschelkurs – sie ist anspruchsvoll. Sie verlangt, zwischen Reaktion und Reflexion zu unterscheiden. Sie weiß: Nur wer selbst mit Ambivalenzen umgehen kann, schafft Räume, in denen echte Zusammenarbeit möglich wird.

Verantwortung ist kein Solo – sie ist ein Systemakt

Werte sind keine Worthülsen in Imagebroschüren. Sie leben nur, wenn sie konkret und sichtbar umgesetzt werden:

  1. Faire Bezahlung. Pünktliche Löhne. Transparente Kommunikation.

  2. Fehlerfreundlichkeit statt Schuldzuweisung.

  3. Raum für Feedback – nicht als Pflichtübung, sondern als echte Führungsfähigkeit.

Wer als Führungskraft Selbstwirksamkeit lebt, macht Mut, an das Gemeinsame zu glauben. Nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen. Nicht durch Dominanz, sondern durch Klarheit und Präsenz.

Führung neu denken – damit sie wieder wirkt

Führung darf wieder menschlich werden – und gerade deshalb kraftvoll. Selbstwirksamkeit in diesem Kontext ist kein Rückzug ins Private, sondern eine mutige Rückbindung an Verantwortung. Sie ermöglicht eine Führung, die nicht über andere hinweggeht, sondern mit ihnen gestaltet. Sie schafft eine Unternehmenskultur, in der der Begriff „Wert“ nicht auf der Strecke bleibt, sondern in jeder Begegnung, in jedem Termin, in jeder Entscheidung und in jedem Dialog spürbar wird.

Der Wert liegt in unserer Hand

Wie stehst Du zu Dir selbst – als Mensch in Führungsverantwortung? Welchen Einfluss hat Deine Haltung auf die Kultur in Deinem Unternehmen? Wie sehen es diejenigen, die tagtäglich mit Dir und für Dich arbeiten? Nutzt Du Deine Position, um andere zu fördern oder um Dich abzusichern? Übernimmst Du Verantwortung nur für Erfolge oder auch für (lehrreiche) Fehler, Unklarheiten und soziale Spannungen? Welche Werte leiten Dein Handeln im Führungsalltag, unabhängig von Strategiepapieren? Nimmst Du (noch) die Kraft wahr, etwas Positives zu gestalten, oder reagierst Du nur noch auf An- und Aufforderungen? Förderst Du die Selbstwirksamkeit Deiner Mitarbeitenden oder untergräbst Du sie (unbewusst), zum Beispiel durch „Mikromanagement“? Wann hast Du zuletzt innegehalten, um Deine Verhaltensmuster ehrlich zu hinterfragen? Bist Du bereit, diese zu teilen, um aufrichtige Rückmeldungen zu erhalten? Lebst Du Maß und Klarheit oder verharrst Du in Übermaß, Druck und Dauerstress? Hast Du eine gesunde Balance zwischen strategischem Denken und operativer Erdung? Was sagt die tägliche Stimmung im Team über Deine Führungswirkung aus? Wo bist Du inkonsequent und wo beginnst Du, den Unterschied zu machen? Fördert Dein Führungsverhalten eine Kultur des Vertrauens, der Fairness und des Miteinanders oder eher eine des Rückzugs, der Angst und Konkurrenz? Wirst Du als jemand erlebt, der führt oder als jemand, der sich nur in Szene setzt?

Zum Abschluss: Wenn alle so führen würden, wie Du – in welcher Atmosphäre, unter welchen Rahmenbedingungen würden wir dann arbeiten, mitwirken und was daraus lernen?

Stimmst Du dem zu: Wer als Führungskraft Selbstwirksamkeit lebt, lebt nicht nur besser – er wirkt authentisch. Und dieses Wirken kann guttun.

Zum Wohl!

 
 
 
 

Führung braucht Klarheit. Teile bitte Dein Anliegen mit, damit wir gemeinsam individuelle Lösungen finden. Kontaktiere Dr. Edyta Wolska direkt und lass uns sprechen.

 
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Lebensreise – Heldenreise